Wie oft sind wir überzeugt, das Richtige zu tun? Wir sind geneigt, aus Überzeugung zu agieren, obwohl es aus anderer Perspektive unsinnig erscheint. Das Gefühl des Überzeugtseins oder das Richtige zu machen, reicht oft vollkommen aus, unser Verhalten zu leiten. Wissenschaftliche, also logische nachvollziehbare Erkenntnisse können dann diese Überzeugungen nicht korrigieren, sondern wir versuchen dann, unsere Überzeugungen durch entsprechende Interpretationen aufrechtzuerhalten. Wir schützen unsere Überzeugungen gewissermaßen vor Fakten. Bei der Suche nach Argumenten, die uns helfen, unsere Überzeugungen aufrechtzuerhalten, sind wir mitunter sehr erfinderisch.
Kennen wir diese Phänomene nicht aus unserem aktuellen Alltag? Querdenker, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Religionsfanatiker, politische Ideologen, Moralapostel oder Besserwisser ohne tiefergehenden Faktenhintergrund sind interessante Beispiele. Unser Alltag ist voll davon. Mitunter drängt sich die Vermutung auf, dass sich die Anzahl der eifernden Überzeugten ständig vermehrt. Manche vermuten sogar, dass etwas mit unseren Zeitgenossen nicht stimmen würde. Im Grunde ist aber alles mehr oder weniger im grünen Bereich, denn dieses Denken und die damit verbundene Einstellung ist ein normaler Mechanismus, der sinnvoll ist, auch wenn er aus anderen Perspektiven betrachtet, grotesk erscheint. Es geht um sogenannte kognitive Dissonanzen, die wir mit Leichtigkeit aus der Welt schaffen können.
Leon Festinger und die kognitive Dissonanz
Anfang der 1950-er Jahren infiltrierte der junge Sozialpsychologe Leon Festinger und zwei Mitarbeiter eine Gruppe von Menschen, die glaubten, dass die Welt am 21. Dezember 1954 enden würde. Sie wollten wissen, was mit der Gruppe passieren würde, wenn die Prophezeiung scheiterte. Diese Gruppe wurde von einer bis dahin mehr oder weniger unbekannten Hausfrau (Marian Keech, die eigentlich Dorothy Martin hieß) in Wisconsin/USA gegründet. Sie gab an, angeblich Nachrichten von einer Außerirdischen namens Sananda vom Planeten Clarion empfangen zu haben. Aufgrund dieses Kontaktes kam Keech zu spektakulären Vorhersagen über die Zukunft der Menschheit und der Erde. Konkret sagte sie eine gewaltige, von Gott gesandte Flut vorher, die alle Menschen auf der Erde töten würde. Sie nannte sogar ein konkretes Datum für diesen Weltuntergang, nämlich den 21. Dezember 1954. Nur jene Personen, die sich ihr und ihrer Sekte anschließen würden, könnten noch gerettet werden – sehr spektakulär übrigens, nämlich mittels fliegender Untertassen der Außerirdischen vom Planeten Clarion. Die Presse gab dieser Sekte deshalb den Namen UFO-Sekte. Natürlich blieb die vorhergesagte Flut aus. Der 21. Dezember verging als ganz normaler Tag. Bei den Mitgliedern der Sekte passierte nach dem Ausbleiben der Katastrophe etwas sehr Bemerkenswertes. Statt das Versagen der Sektenführerin zu akzeptieren oder anzuprangern und sich von ihr abzuwenden, sahen sich die Anhänger in ihrem Glauben umso mehr bestärkt! Sie behaupteten einfach, dass ihre Gebete von Gott erhört worden seien und ihn umgestimmt hätten. Wie auch immer, bis heute ist die Welt nicht untergegangen und es sind auch keine UFOs gesichtet worden, welche die Anhänger dieser Sekte von der Erde zum Planeten Clarion transportiert haben. Die Sektenmitglieder blieben bei ihren Grundüberzeugungen. Was sich allerdings änderte, war der Eifer, mit dem sie andere Leute von ihrem Glauben zu bekehren versuchten. Sie wurden immer überzeugter und emotionaler. Tatsächlich soll diese Sekte bis heute bestehen.
Wie reduziert man kognitive Dissonanzen
Aber wie kann man dieses offensichtliche unlogische Verhalten erklären? Bei den Anhängern der UFO-Sekte kam es zu einem Konflikt zwischen der Erwartung und der realen Erfahrung. Zur Lösung des Konfliktes standen den Sektenanhängern letztlich nur zwei Alternativen zur Verfügung, nämlich die eigene Meinung zu ändern – oder die Meinung aller anderen. Da die eigene Meinung derartig fest in ihrem Gedankensystem verankert war, kam nur noch die zweite Möglichkeit in Betracht, und fortan begannen sie, mit missionarischem Eifer andere Personen von ihrem Glauben zu überzeugen. Kennen wir das nicht auch bei den aktuellen Überzeugten, die sich eifernd für bestimmte teils unsachliche Ansichten einsetzen? Man mag überzeugt sein, dass die Anhänger der UFO-Sekte unterbelichtete oder geistig verwirrte Personen gewesen sind. Es ist möglich, dass in dieser Gruppe der Anteil der psychisch Auffälligen größer als in der Normalbevölkerung ist. Das wissen wir nicht. Was wir aber wissen ist, dass das grundsätzliche Verhaltensmuster, dass diese Personen offenbaren, eben nicht pathologisch, sondern schlichtweg normal ist. Leon Festiger und seine Kollegen orteten die Ursache für dieses Denkens in einem Phänomen, das sie als kognitive Dissonanz bezeichneten. Der Umgang mit der kognitiven Dissonanz folgt bei allen Menschen gemäß fest verankerter Mechanismen, die prinzipiell immer gleichsinnig ablaufen. Widersprüche zwischen Meinungen und Gedanken lösen bei uns eine Art „Unbehagen“ aus. Dadurch werden überwiegend unbewusste Denktätigkeiten in Gang gesetzt, um die Widersprüche zu beseitigen. Wir fügen z. B. neue und stimmige Gedanken zu unserem Gedankenspeicher hinzu, die wir aus unserem Gedächtnis herauskramen oder sie schlichtweg einfach erfinden. Beliebt ist auch das Leugnen, Ignorieren oder Verdrängen unstimmiger (also dissonanter) Gedanken. Auch das können wir exzellent. Hierbei hilft ein weiterer Mechanismus, nämlich die funktionelle Blindheit, die unsere Aufmerksamkeit nur auf das lenkt, was uns interessiert und was unsere Überzeugungen aufrechterhält.
Dass wir dazu neigen, Dissonanzen zu vermeiden und sie zu verringern oder zu eliminieren versuchen, ist einem grundsätzlichen Arbeitsprinzip unseres Gehirns geschuldet. Es versucht nämlich, ständig mit einem stabilen Weltbild zu versorgen. Gerät dieses Weltbild aus der Balance, ist es nicht mehr ausgewogen, dann muss etwas geschehen, damit es das Gleichgewicht zurückgewinnt. Denn nur in stabilen Welten finden wir uns gut zurecht und fühlen uns einigermaßen sicher.
Wie löst man kognitive Dissonanz
Dissonanzen verschwinden, wenn das zugrunde liegende Problem gelöst wird. Dabei hilft der Wechsel des Blickwinkels. Sie bieten neue Lösungswege. Eine andere Möglichkeit der Dissonanzlösung ist, wenn Wünsche, Einstellungen und Motive, welche die Grundlage der dissonanten Gedanken sind, sich ändern oder aufgegeben werden. Man kann die durch Dissonanz auftretende Erregung auch auf andere Ursachen zurückführen, den Widerspruch herunterspielen oder sich als Opfer eines Zwanges darstellen. Kognitive Dissonanzen verfestigen sich auch, wenn man sich mit Personen umgibt, welche die gleichen Überzeugungen pflegen. Wenn alle oder viele Menschen um einen herum, das Gleiche denken und die gleichen Überzeugungen pflegen, ist das angenehm und spendet Sicherheit. Will man sich von seinen Überzeugungen löst, hilft auch ein Entfernen aus der Gruppe der Gleichgesinnten. Damit nimmt auch die Bedeutung der Überzeugung ab.
Kognitive Dissonanz – heute
Bei Querdenkern, politischen Ideologen, Moralaposteln, religiösen Eiferern oder faktenfreien Besserwissern stimmt das Weltbild nicht mit den Fakten überein. Je wichtiger für sie ihr Weltbild ist und je überzeugter sie sind, desto stärker ist die kognitive Dissonanz. Wie wir gesehen haben, nutzen die Menschen verschiedene Mechanismen, um das Weltbild zu schützen. Manche werden sich nie überzeugen lassen. Alles wird gesucht, was zum jeweiligen Weltbild passt. Wenn es nicht passt, wird es passend gemacht. Wird man argumentativ angegriffen oder gar mit anderen Ansichten konfrontiert, verteidigt man sich – vorwiegend emotional. Deshalb wirken diese Personen oft uneinsichtig und aus anderen Perspektiven betrachtet merkwürdig.
Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass das Beharren auf unseren Überzeugungen prinzipiell nichts Schlechtes ist. Stellen Sie sich vor, sie müssten ständig ihre Überzeugungen verändern. Das wäre für unsere Verhaltenssicherheit kontraproduktiv. Deshalb muss die Komplexität der Welt, des Lebens und der Zukunft mit unseren Lebensmodellen in Übereinstimmung gebracht werden. Dazu trägt auch eine stabile Welt bei, die wir uns letztlich auf der Basis unseres Wissens und unserer Einstellungen zurecht interpretieren. Wenn uns unsere Interpretationen auch noch von einer ausreichend großen Gruppe von Menschen geteilt werden, umso besser. Dann sind wir nicht allein und werden von der sicheren Gruppe getragen.
Trotzdem müssen wir festhalten, dass Überzeugungen unser Leben gelegentlich schwer machen, vor allem dann, wenn verschiedene Gruppe mit unterschiedlichen Überzeugungen aufeinandertreffen. Man sieht dies recht häufig im politischen und religiösen Alltag. Zum Glück hat die moderne Zivilisation dazu beigetragen, dass wir die Auseinandersetzung zwischen den Überzeugungen einigermaßen elegant und vor allem friedlich bewältigen. Trotzdem müssen wir festhalten, dass Überzeugungen unser Leben gelegentlich erschweren, vor allem dann, wenn verschiedene Gruppe mit extrem unterschiedlichen Überzeugungen aufeinandertreffen.
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